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Erste Bilanz des Arbeitsmarktbüros für Flüchtlinge

von www.Familien-Blickpunkt.de am 30/03/2016 - 09:25 |

Themenfelder: Leben und Gesellschaft

Erste Bilanz des Arbeitsmarktbüros für Flüchtlinge

Kreis Offenbach - Die Bundesagentur für Arbeit und der Kreis Offenbach betreiben im Kreishaus in Dietzenbach seit Mitte Oktober 2015 ein gemeinsames Arbeitsmarktbüro für Flüchtlinge. Aktuell sind in dem Büro drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit sowie eine Mitarbeiterin des Kreises Offenbach tätig. Flüchtlinge im laufenden Asylverfahren werden hier bei Fragen zu Arbeit und Ausbildung beraten. Weitere Aufgabenbereiche sind die Schulung von Flüchtlingshelfern, die Information von Arbeitgebern sowie Gruppenveranstaltungen in Persisch und Arabisch zum Thema deutsches Schul- und Ausbildungssystem.

Ferner werden alle Asylsuchende im Kreis Offenbach zu einem Profiling-Termin eingeladen, um einen detaillierten Überblick über die vorhandene Schulbildung sowie etwaige berufliche Vorkenntnisse der Flüchtlinge zu gewinnen. Ein Ergebnis der bis dato erstellten Profile lautet: Mit schnellen Erfolgen bei der Vermittlung der Menschen in den ersten Arbeitsmarkt ist eher nicht zu rechnen.

Da der überwiegende Teil der Flüchtlinge weder die deutsche Sprache beherrsche noch eine ausreichende berufliche Qualifikation mitbringe, werde es für die meisten von ihnen länger dauern, bis sie eine gut bezahlte Arbeit finden. Zu diesem Schluss kommen Thomas Iser, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Offenbach, und der Sozialdezernent des Kreises Offenbach, Carsten Müller anhand einer Analyse der Profile der bis dato befragten Asylsuchenden.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Ergebnisse der ersten Erfassung der Flüchtlinge im Arbeitsmarktbüro machen die Herausforderung deutlich, vor der der Kreis Offenbach, die Arbeitsagentur und vor allem die Flüchtlinge stehen.

„Die Arbeitsmarktintegration der Asylbewerber wird alles andere als einfach. Ein Drittel der ersten Generation der heutigen Flüchtlinge hat nach unserer Einschätzung am deutschen Arbeitsmarkt durchaus realistische Chancen, allerdings nur, wenn die Menschen schnell Deutsch lernen und ausreichend qualifiziert werden“, betont Carsten Müller. „Für die anderen zwei Drittel wird es sehr schwer, in absehbarer Zeit einen Job zu finden.“ Hauptgrund dafür sind fehlende Sprachkenntnisse und Bildungs- und Berufsqualifikationen. Von 750 im Arbeitsmarktbüro befragten Asylbewerbern etwa haben 27 Prozent schlechte und 61 Prozent gar keine Deutschkenntnisse. Ein Lichtschimmer: 24 Prozent der befragten Flüchtlinge sprechen mittelmäßig bis sehr gut Englisch.

„Das heißt, sie haben bereits eine Fremdsprache gelernt und sind zumindest rudimentär mit dem lateinischen Alphabet vertraut. Das ist ein ungeheurer Vorteil. Denn die allermeisten Flüchtlinge kommen aus dem arabischsprachigen Raum. Deutsch bedeutet für diese Menschen nicht nur eine andere Sprache, sondern auch komplett fremde Buchstaben. Darüber hinaus wird bei uns von links nach rechts, im Arabischen von rechts nach links gelesen. Hinzu kommt eine durchaus anspruchsvolle neue Grammatik. Das ist erst einmal eine große Herausforderung für Jeden“, beschreibt Müller die sprachlichen Hürden.

Thomas Iser: „Für gut qualifizierte und entwicklungsfähige Fachkräfte ist der Arbeitsmarkt in Stadt und Kreis Offenbach durchaus aufnahmefähig. In einigen Berufen suchen Betriebe händeringend nach Fachkräften. Grundvoraussetzung sind aber gute oder sehr gute deutsche Sprachkenntnisse.“ Dies trifft gegenwärtig aber lediglich auf rund zwei Prozent der Flüchtlinge zu, die bis dato das Arbeitsmarktbüro durchlaufen haben. Etwa zehn Prozent haben mittelmäßige Deutschkenntnisse. Hinzu kommt: 73,5 Prozent der Flüchtlinge haben keinerlei Ausbildung oder waren zuvor lediglich als angelernte Hilfskräfte tätig.

14 Prozent haben in ihrem Heimatland studiert und 12,5 Prozent haben darüber hinaus Berufserfahrung. Doch selbst diese eigentlich gut ausgebildete Gruppe wird lange Zeit große Probleme haben; sei es wegen der bereits angesprochenen fehlenden Sprachkenntnisse oder weil den Flüchtlingen schlicht die Netzwerke in ihrem neuen Umfeld fehlten. Zudem sei nur selten ein Eins-zu-Eins-Transfer möglich, erklärt Müller. „Das heißt, jemand der in Syrien als Arzt gearbeitet hat, kann in einem deutschen Krankenhaus möglicherweise nur als Pfleger eingesetzt werden.“ Das liegt vor allem an den hierzulande hohen gesetzlichen Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen und Qualifizierungen.

Müller: „Zur Wahrheit gehört daher auch, dass wir hier in unserem Arbeitsmarktbüro so manchen Traum der Menschen zerplatzen lassen müssen.“ Vor allem, weil rund 82 Prozent der befragten Flüchtlinge keinerlei Zeugnis für einen Universitätsabschluss beziehungsweise einen schriftlichen Nachweis für eine berufliche Qualifikation vorlegen können.

Diejenigen, die keine beruflichen Kenntnisse und keinerlei Deutschkenntnisse mitbrächten, müssten so früh und schnell wie möglich Deutsch lernen. „Dann“, macht Iser deutlich, „können die Menschen eine Chance auf dem regionalen Arbeitsmarkt haben. Aber dazu braucht es einen langen Atem.“

Für viele Flüchtlinge bedeutet das eine lange Durststrecke. Iser: „Analysen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der BA zur Arbeitsmarkt-Integration von vor 15 Jahren nach Deutschland gekommenen Flüchtlingen zeigen: Im ersten Jahr nach ihrer Ankunft fanden nur acht Prozent einen Job. Nach fünf Jahren stieg ihr Anteil auf 50, nach zehn Jahren auf 60 Prozent. Ein gutes Viertel der Flüchtlinge war aber auch nach 15 Jahren ohne Arbeit - das entsprach etwa dem Schnitt der ausländischen Bevölkerung in Deutschland.“

„Wir können uns der Realität nicht entziehen“, macht Sozialdezernent Müller deutlich. „Die Zahlen, die uns vorliegen, sprechen eine ernüchternde, aber eben auch eine sehr deutliche Sprache.“

Thomas Iser setzt auf die Bereitschaft aller Beteiligter, die Integration in Arbeit und Ausbildung trotz aller Schwierigkeiten anzupacken und die Fehler früherer Jahre zu vermeiden. Iser: „Ich erlebe, dass die Geflüchteten hoch motiviert und lernbereit sind. Das sollten wir nicht unterschätzen. Arbeitgeber sollten Flüchtlingen ‚on the job‘ ermöglichen, ihre beruflichen Kenntnisse - jenseits von Abschlüssen und Zertifikaten - zu beweisen und auszubauen. Jugendlichen und jungen Erwachsenen müssen wir die Chance geben, eine Ausbildung zu machen. Die Arbeitsagentur bietet Ausbildungsbetrieben vor diesem Hintergrund Unterstützungsmaßnahmen an; von der Einstiegsqualifizierung bis zur Assistierten Ausbildung. In der Offenbacher Arbeitsagentur machen übrigens zurzeit zwei Flüchtlinge eine Einstiegsqualifizierung.“ Man müsse aber davon ausgehen, dass die Integration in den Arbeitsmarkt nicht innerhalb weniger Wochen oder Monate zu realisieren, sondern eine Aufgabe für mehrere Jahre sei, so Iser weiter. Bei der zweiten und dritten Generation fiele die Jobsuche dann wesentlich leichter.

Carsten Müller will das Augenmerk daher besonders auf die Kinder der Flüchtlinge legen. „Hier müssen wir ansetzen und die Lehren aus der Vergangenheit ziehen. Damit sich all die schwierigen Erfahrungen der sogenannten Gastarbeitergenerationen jetzt nicht noch einmal wiederholen gilt es auf zwei Dinge zu setzen: Bildung und Chancengleichheit. Beides zusammen ist der Schlüssel für eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt. Besonders wichtig sei es daher, in die frühkindliche Bildung zu investieren. Der Kita-Ausbau muss weiter vorangetrieben und die Betreuung der Flüchtlingskinder muss intensiviert werden. Je früher wir hier ansetzen, desto besser“, so der Sozialdezernent abschließend.

www.familien-blickpunkt.de



Kommentare


30/03/2016 - 18:43

Das Ergebnis ist wahrlich ernüchternd und wurde auch schon auf dem IHK Empfang von Stadt und Kreis Offenbach von dem Hauptredner Prof. Eilfort prognostiziert. In dem mit Untersützung der Bundesregierung von der "charta der vielfalt" erstellten Praxis-Leitfaden für Unternehmen "Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt!" heißt es noch optimistisch. "Denn rund zwei Drittel der zurzeit in Deutschlnad lebenden Flüchtlinge sind im erwerbsfähigen Alter und bringen darüber hinaus oft gut Qualifikationen mit".

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